Energieversorgung: Jede Menge Gratisstrom – und der Solarboom macht Probleme

In den Dunkelflauten des vergangenen Jahres sehen manche schon das Scheitern der Energiewende. Doch so einfach ist es nicht: Die fünf wichtigsten Trends für 2025.

11. Januar 2025, 6:29 Uhr

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Energieversorgung: 2025 werden wieder mehr Windräder gebaut.
Energieversorgung: 2025 werden wieder mehr Windräder gebaut.

2025 werden wieder mehr Windräder gebaut. © [M] ZEIT ONLINE; Foto: Tobias Schwarz/​AFP/​Getty Images

Weil sich in der Rückschau immer auch etwas über die Zukunft ablesen lässt, hier eine wirklich allerletzte Bilanz zum abgelaufenen Jahr: 2024 ist die Energiewende einen großen Schritt vorangekommen. Unterm Strich haben die erneuerbaren Energien gut 60 Prozent des Strombedarfs gedeckt – so viel wie noch nie. Und das macht sich mittlerweile auch in der Klimabilanz bemerkbar: Deutschland hat 2024 seinen Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 1990 fast halbiert und sein selbst gestecktes Klimaziel erreicht. Die Emissionen von schädlichen Klimagasen sind das dritte Jahr in Folge gesunken – und das lag vor allem am Ausbau der erneuerbaren Energien. Im neuen Jahr dürfte es so weitergehen, aber das führt auch zu Problemen.

Übersicht:

1. Immer häufiger große Preissprünge

2025 begann schon mal verheißungsvoll: Kurz nach Mitternacht fiel der Börsenpreis für Strom auf null Euro. Fast 48 Stunden lang gab es jede Menge Gratisstrom in Deutschland, Windräder und Solaranlagen deckten den Strombedarf zu 100 Prozent. Das war möglich, weil die Energienachfrage feiertagsbedingt niedrig war. Mitte Dezember jedoch verkehrte Welt: Eine Dunkelflaute hatte Deutschland im Griff. Zeitweise lag der Börsenpreis bei 936 Euro pro Megawattstunde.

Solche Sprünge werden sich künftig häufen. Die Erneuerbaren sind nun mal vom Wetter abhängig. Allein im vergangenen Jahr fiel der Börsenpreis an 459 Stunden sogar unter null. Zum Vergleich: Zwischen 2008 und 2014 beschränkten sich diese Extrempreise noch auf deutlich unter 100 Stunden.

Da wir mitten in der Energiewende stecken, müssen wir damit noch einige Jahre leben. Die grüne Energie dringt zunehmend in den Markt und macht Gas oder Kohle an vielen Tagen überflüssig. Gleichzeitig brauchen wir aber noch die fossilen Kraftwerke, um an wind- und sonnenarmen Tagen Strom zu produzieren. Wenn die Kraftwerke dann mal anspringen, wird es teuer – denn die Betreiber lassen sich nicht nur die Kosten für die Stunden entlohnen, in denen die Kraftwerke Strom produzieren, sondern rechnen die Kosten für den Stand-by-Modus mit ein. Hinzu kommt der CO₂-Preis auf fossile Brennstoffe. Seit Anfang Januar sind 55 Euro pro Tonne CO₂ fällig, und in den nächsten Jahren wird der Preis weiter steigen.

Für Industriebetriebe sind die Extrempreise mitunter ein Problem, denn sie kaufen Strom oft tagesaktuell ein. Im Dezember mussten Stahlhersteller zeitweise die Produktion stoppen. Verbraucher indes merken von den Schwankungen meist nichts. Die meisten Stromkunden haben einen Vertrag mit einem Energieversorger, in dem ein fester Preis pro Kilowattstunde verbrauchter Elektrizität festgelegt ist – noch. Betroffen sind Kunden mit einem Vertrag, der sich nach aktuellen Börsenpreisen richtet. Sie profitieren dann auch, wenn der Preis stark fällt, und das funktioniert auch immer besser. Dazu mehr bei Punkt fünf.

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2. Das Jahr der Mega-Akkus

Mehr Grünstrom bedeutet also mehr Auf und Ab an den Börsen. Aber das muss nicht sein, wenn man einen Speicher zwischen Solarpark und Stromnetz schaltet, wie eine Pufferzone. Die Riesenbatterien laden auf, wenn gerade viel Wind weht und die Strompreise günstig sind. Und sie können angezapft werden, wenn die Preise hoch sind und Strom dringend gebraucht wird.

Solche Batterieparks entstehen gerade an vielen Orten in Deutschland. Es müssten aber noch viel mehr gebaut werden, vor allem solche, die in der Lage sind, ganze Städte zeitweise mit Strom zu versorgen. Bürokratie, fehlende Netzanschlüsse und hohe Kosten machten es Investoren in der Vergangenheit schwer, sie zu bauen. Das dürfte sich 2025 ändern.

Die Beratungsagentur Frontier Economics hat kürzlich errechnet, dass das Volumen der Großbatteriespeicher hierzulande bis 2030 auf 15 Gigawatt steigen wird – wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Dies entspricht der 40-fachen Speicherkapazität von Großspeichern im Vergleich zu heute. Die Mega-Akkus würden dann dämpfend auf die Preise wirken. Zwischen 2030 und 2050 würde dieser Effekt im Durchschnitt bei einem Euro pro Megawattstunde liegen, schreiben die Analysten von Frontier Economics (PDF).

Das liegt vor allem an den sinkenden Herstellungskosten für die Speicher. Eine Analyse für die US-Regierung (PDF) geht von einem Preisverfall von bis zu 36 Prozent in diesem Jahr aus.

"Die Kosten für Batterien sind mittlerweile so niedrig, dass sie sich rechnen – auch gegenüber Pumpspeicherkraftwerken", sagt Bruno Burger, der am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) zum Strommarkt forscht.

Der Bau der Batterieparks rentiert sich auch zunehmend, weil die Schwankungen bei der Energieerzeugung zunehmen und sich somit mehr Geld mit dem Auf- und Entladen von Batterien verdienen lässt. "Je größer die Preissprünge an den Börsen sind, desto rentabler ist der Einsatz von Batterien im Strommarkt", sagt Burger.

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3. Neue Windräder in der Landschaft – und der Solarboom wird zum Problem

Zuletzt ging es beim Ausbau der Windkraft langsam voran, Deutschland verfehlte seine Ausbauziele Jahr für Jahr. Und das hatte noch nicht einmal etwas mit mangelndem Willen einiger Bundesländer oder einer hartnäckigen Anti-Windkraft-Bewegung zu tun. Es lag mal wieder an der Bürokratie – und, es klingt wie ein Scherz, einer zeitweise gesperrten Autobahn bei Bremen, wodurch keine Rotorblätter transportiert werden konnten. "Wir hatten in der Vergangenheit große Probleme mit dem Transport der Windflügel, aber auch mit den Genehmigungen der Spezialtransporte", sagt Energieexperte Burger. Da sei jedoch viel verbessert worden.

Aktuell befinden sich über 25 Gigawatt Windkraft an Land in Planung, wobei dem ISE zufolge 8,6 Gigawatt 2025 in Betrieb genommen werden sollen.

Auch bei der Solarkraft geht der Ausbau voran, schon im vergangenen Jahr erreichte Deutschland seine Ausbauziele. Das wiederum verursacht neue Probleme: Mit dem Tempo können die Netze kaum mithalten. Eine Recherche der Zeitschrift für kommunale Wirtschaft unter kommunalen Netzbetreibern im Dezember 2024 zeigte, dass Netzkapazitäten in einigen Regionen Deutschlands bereits erschöpft oder nahezu ausgelastet sind.

Und auch den Steuerzahler kostet der Solarboom Geld. Weil die Marktpreise immer häufiger unter die nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz garantierte Mindestvergütung fallen, muss der Staat die Lücke füllen. Aus dem Bundeshaushalt werden dafür immer größere Summen benötigt, 2024 dürfte es ein Betrag in niedriger zweistelliger Milliardenhöhe gewesen sein.

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4. Deutschland bleibt Importland

Deutschland war jahrelang Netto-Stromexporteur, doch seit 2023 nimmt es seinen Nachbarn unterm Strich mehr Strom ab, als es exportiert. Man könnte nun auf den Gedanken kommen, Deutschland produziere wegen des Atomausstiegs selbst zu wenig Strom, ist mittlerweile auf andere Länder angewiesen, um den Energiebedarf zu decken. So tönt es immer wieder aus Union und AfD.

Aber mit dem Atomausstieg haben die gestiegenen Importe wenig zu tun, und Deutschland ist auch in der Lage, seinen Strombedarf aus eigener Kraft zu decken. Das Land nimmt den Nachbarn schlicht deshalb so viel Energie ab, weil es günstiger ist. In Europa gibt es keine Grenzen für Strom, Import und Export richten sich nach dem Preis. Der Importüberschuss bedeutet also eigentlich nur, dass Erzeuger im Ausland in diesem Zeitraum günstiger Strom anbieten konnten als inländische Anbieter.

Der meiste Strom kam im vergangenen Jahr aus Frankreich nach Deutschland – und zwar in den Sommermonaten Juli und August und nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, im Winter, wenn sich Dunkelflauten häufen.

"Im Sommer ist der Stromverbrauch gering, es gibt viel Solar- und Windenergie, gleichzeitig lässt Frankreich seine Atomkraftwerke laufen", sagt Burger. Die französischen AKWs brauchen aufgrund der hohen Fixkosten möglichst viele Volllaststunden, um kostendeckend arbeiten zu können. "Dadurch sind die Preise extrem niedrig", sagt Energieexperte Burger.

Wenn es dann doch einmal so ist, dass es im Sommer weniger Sonnen- und Windstrom gibt, ist es günstiger, den Strom aus Frankreich zu beziehen, als hierzulande ein teures Gas- und Kohlekraftwerk anzuwerfen. Deutschland profitiert also von dem subventionierten französischen AKW-Strom.

"Mit dem Kernkraft-Aus in Deutschland haben die Importe nur wenig zu tun", sagt Burger. "Ob es drei AKWs mehr oder weniger gibt, spielt kaum eine Rolle." Entscheidend seien die Gaspreise und der CO₂-Preis. Der ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen und macht Strom teurer.

Deutschland bezieht aber auch viel billigen Grünstrom aus Dänemark, der Schweiz und Norwegen. Diese Länder sind beim Ausbau der Erneuerbaren schon so weit, dass es dort gerade im Sommer Strom im Überfluss gibt. 2024 war zudem ein Jahr mit außerordentlich hohen Niederschlagsmengen, weshalb es in allen Ländern mit einem hohen Anteil an Wasserkraft ein relativ großes Überangebot gab, also etwa in den Alpenländern Schweiz und Österreich. Das könnte 2025 wieder anders sein.

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5. Haushalte profitieren von der Energiewende

Seit Januar sind Stromanbieter verpflichtet, einen dynamischen Stromtarif anzubieten, wenn die Haushalte über einen digitalen Stromzähler (Smart Meter) verfügen. Das heißt: Ein Teil des Tarifs richtet sich nach dem aktuellen Börsenpreis. Je nach Angebot und Nachfrage kann sich der Strompreis pro Kilowattstunde also täglich oder gar stündlich verändern. Der Einbau eines digitalen Zählers wird zudem verpflichtend für alle, die mehr als 6.000 Kilowattstunden im Jahr verbrauchen.

Scheint mittags die Sonne und weht der Wind, können Kunden also besonders billig ihr E-Auto laden. Abends, wenn viele Menschen nach der Arbeit nach Hause kommen und Elektrizität benötigen, muss man mehr bezahlen. Die Preisänderungen kann man auf einer App verfolgen und sich danach richten. Verbraucherschützer raten jedoch, genau durchzurechnen, ob sich solche Tarife lohnen – und sich auch in den Alltag integrieren lassen. Schließlich macht das nur Sinn, wenn man auch gewillt ist, sein Verhalten anzupassen. Das Risiko liegt auf der Seite der Kunden.

Wem das noch nicht genug ist, der kann noch einen Schritt weitergehen. Wer auf seinem Hausdach Solarzellen und zudem einen Batteriespeicher hat, kann Strom einspeichern und dann ins Netz einspeisen, wenn der Strom besonders teuer ist – und damit sogar am Auf und Ab an den Börsen verdienen. Auch hier gibt es bereits erste Anbieter, beispielsweise Enpal, die entsprechende Tarife anbieten.

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